Untergang des deutschen Ermlands
Nationalsozialismus unter Gauleiter Erich Koch Das allmähliche Anwachsen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) führte am 30. Januar 1933 zur Machtergreifung Hitlers als
Reichskanzler. Die Entwicklung und Ausbreitung der NSDAP im Ermland und ganz Ostpreußen wurde durch den Gauleiter Erich Koch eingeleitet und bis zum Ende der Herrschaft der Hitler-Diktatur geprägt. Hitler schickte den
in Elberfeld geborenen Eisenbahnassistenten und glühenden Anhänger seiner Bewegung 1928 nach Königsberg mit dem Auftrag, die "Insel Ostpreußen" für die NSDAP zu erobern. Die erste Versammlung der Partei in
Rößel im Januar 1930 führte bereits im März zur Gründung einer Ortsgruppe. In vielen weiteren Versammlungen, bei denen es oft zu Zusammenstößen mit dem kommunistischen Rotfrontkämpferbund kam, warben die Propagandisten
der Partei für die Ideen der NSDAP und brachen langsam aber stetig in die "Zentrumsfestung" Ermland ein. Schon bald hatten nur Hitler und seine Leute das Sagen. Sein Führerprinzip duldete keine demokratische
Ordnung. Darum schaffte er die Demokratie auf der Basis der Weimarer Verfassung ab, durch die er legal zur Macht gekommen war. In der Verwaltung wurden zunächst die Schlüsselkräfte von Gesinnungsgenossen abgelöst. Das
Amt des Oberregierungspräsidenten in Königsberg erhielt Gauleiter Erich Koch. Entsprechend wurden die Posten der Regierungspräsidenten, der Landräte, der Bürgermeister, der Amtsvorsteher und der Gemeindevorsteher - die
heißen nach einer Verordnung vom 1. August 1934 ebenfalls Bürgermeister - mit zuverlässigen Parteigenossen besetzt. Den sachkundigen Verwaltungsapparat musste man erhalten, wenn die zivile Ordnung nicht zusammenbrechen
sollte. Jedoch schleusste man Spitzel ein, die die Verwaltungskräfte überwachten, um so den Leitern der Ämter die Möglichkeit zu geben, die zu laut gewordenen Gegner durch Entfernung aus ihren Ämtern mundtot zu machen.
Vielfach übernahmen die Ortsgruppen- und Kreisleiter der NSDAP die Bürgermeister- und Amtsleiterposten.
Gleichschaltung von Vereinen und Verbänden Alle Vereine wurden mit der Zeit aufgelöst und ihre Mitglieder in die entsprechenden NS-Organisationen übernommen und "gleichgeschaltet". Solche
Organisationen waren unter anderen das Jungvolk, die Hitlerjugend (HJ), der Bund Deutscher Mädchen (BDM), paramilitärischen Sturmabteilungen (SA), die Schutzstaffeln (SS), die NS-Frauenschaft, um nur die wichtigsten zu
nennen. Die Gewerkschaften und die Unternehmerorganisationen fanden sich in der Deutschen Arbeitsfront wieder, der jeder Werktätige angehören musste. Dem Reichsnährstand waren die Bauernverbände und Selbsthilfevereine
eingegliedert. Die Reichskulturkammer erfaßte die Presse, alles Schrifttum, Musik, Theater und Film und übte in diesen Bereichen eine strenge Zensur aus. Alle kirchlichen Verbände wurden nach und nach aufgelöst.
Selbst die durch keine Organisation erfaßten Bewohner einer Stadt oder eines Dorfes wurden durch Block- und Zellenwarte beobachtet und beeinflusst. Die ermländische Kirche mit Bischof Maximilian Kaller blieb vielfach
das einzige Bollwerk gegen den Gesinnungsterror. Manch ein Geistlicher musste sich wegen seiner Predigt peinlichen Verhören unterziehen, landete im Gefängnis oder gar im Konzentrationslager. Einige erlitten für ihr
allzu offenes Wort, das als Verhetzung des Volkes ausgelegt wurde, den Tod. Der 2. Weltkrieg Am Morgen des 1. Septembers 1939 hörte man in Lautern
den lauten Geschützdonner von der etwa 20 km entfernten Grenze zu Polen. Der Krieg, der zum Untergang führen sollte, hatte begonnen. Lange Zeit blieb Ostpreußen von den Kriegswirren verschont. Nur Frauen und Kinder aus
den von Bomben der westlichen Luftgeschwader bedrohten Städten fanden hier Zuflucht. Das änderte sich gegen Ende des Krieges. Anfang Juni 1944 standen die deutschen Armeen noch weit im russischen Land. Da eröffnete
die sowjetische Heeresführung am 22. Juni eine Großoffensive, gegen die deutsche Front. Nach Zerschlagung von 25 der dort eingesetzten 40 Divisionen gelang den Sowjets ein verhängnisvoller Durchbruch. In diesen etwa 350
km breiten Einbruch in die deutschen Linien strömten die russischen Truppen nach Westen. Erst Mitte August gelang es dem neu eingesetzten Oberbefehlshaber Model, die deutsche Abwehrfront durch eine neue
Verteidigungslinie noch auf russischem Boden zu stabilisieren. Die Bedrohung Ostpreußens wurde nun von vielen erkannt und gefürchtet. Die Armeeführung hatte die Räumung des östlichen Teils der Provinz empfohlen. Der
Antrag wurde jedoch vom Reichsverteidigungskommissar für Ostpreußen, Gauleiter Erich Koch, abgelehnt. Nur ein Streifen von 10 km Breite hinter der Hauptkampflinie durfte von den Zivilisten geräumt werden. Wer sich auf
eigene Faust absetzen wollte, riskierte sein Leben. Die Ausführung des ausgearbeiteten Evakuierungsplanes verweigerte Gauleiter Koch. Er erklärte: "Wer hier noch einmal von Räumung spricht, ist ein Verräter."
Zur Verteidigung des Landes verwirklichte er vielmehr seine Idee vom Bau eines "Ostwalls". Wer noch einen Spaten handhaben konnte, der wurde dazu herangezogen. Auch alte Menschen über 65 Jahre und
Fremdarbeiter mussten diesen Einsatzdienst leisten. Sturm auf Ostpreussen Schon am 5. Oktober 1944 traten die sowjetischen Armeen zu einer neuen
Offensive an. Zur Charakterisierung der Heftigkeit der Kämpfe sei ein Auszug aus der Zeitung "Urasnaja Swjedsda" vom 24. Oktober 1944 wiedergegeben: "Man kann nicht bestreiten, dass der deutsche
Widerstand an Stärke und Hartnäckigkeit alles bisher Dagewesene übersteigt. Sie führen ständig Gegenangriffe durch und verteidigen jeden Zentimeter ihres Bodens." In der Abwehrfront kämpften viele ostpreußische
Einheiten. Sie waren sich bewußt, dass sie ihre Heimat verteidigten. Erst Ende Oktober gelang es der deutschen Heerführung, auch diesen Großangriff zum Stehen zu bringen. Nach dem Stopp des Vordringens der russischen
Armeen lagen sich die Fronten etwas 2 1/2 Monate ruhig gegenüber. Beide Seiten verstärkten in dieser Zeit die Kampfkraft ihrer Truppen, die Deutschen mit mühsam zusammengewürfelten Resten aufgeriebener Verbände, die sie
neu gruppierten, und die Russen, indem sie frische Einheiten heranschafften und mit Waffen und Munition aufrüsteten. So standen sich nun zwei ungleich starke Fronten gegenüber, und das konnte nicht gut aussehen. Am
12. Januar 1945 brachen die östlichen Armeen zu einer letzten nicht mehr zu stoppenden Offensive auf. Die abgekämpften deutschen Truppen konnten nur in hinhaltenden Gefechten ein zu schnelles Vorrücken bremsen, um
dadurch die geordnete Absetzbewegung der Truppen und die teilweise Rettung der fliehenden Zivilbevölkerung zu ermöglichen. Es hatte starker Frost und leichter Schneefall eingesetzt. Darauf hatten die Angreifer gewartet,
damit sie mit ihren Panzern als Angriffsspitzen über den hart gefrorenen Feldern und Feuchtwiesen beliebig operieren konnten. Ihre Zielsetzung war, die deutschen Verbände in einem Kessel einzuschließen. Flucht, Verschleppung und Vertreibung der Deutschen
In der Bevölkerung herrschte große Angst und Verwirrung. An eine geordnete Evakuierung nach dem vorgesehenen Plan war nicht mehr zu denken. Jeder tat das, was er für sich und seine Familie für das Beste hielt.
Ein Teil versuchte noch mit der notwendigsten Habe auf dem Pferdewagen der Schlitten aus dem sich schließenden Kessel herauszukommen und sich einem der Trecks nach dem Westen anzuschließen, was nur zum Teil
glückte. Andere wurden auf der Flucht schon von den russischen Truppen abgeschnitten und kehrten um. Wieder andere hatten erst gar nicht den Versuch gemacht zu fliehen. Alle gingen jedenfalls einem ungewissen,
schweren Schicksal entgegen, und viele, besonders Kinder und alte Menschen, überlebten diese kritische Zeit nicht. Einige Männer schlossen sich noch wenige Stunden vor dem Eintreffen der ersten Russen den sich
zurückziehenden deutschen Truppen an, nachdem ihnen von den Greueltaten und den wahllosen Erschießungen der auf den Höfen angetroffenen Bauern berichtet wurde. Nach dem Waffenstillstand am 8. Mai 1945 glaubten viele geflüchteten Familien, es würde nun Ruhe eintreten. Sie kehrten zurück und hofften auf
einen Neubeginn. Doch vagabundierende Russen tobten sich in Befolgung der Ehrenburgischen Hetzparolen weiter an der deutschen Rastbevölkerung aus. Alles, was als Beutegut gelten konnte - Vieh, Waren, technische
Geräte, Möbel und Maschinen - wurde auf Sammelplätze an den Bahnhöfen gebracht und in Richtung Osten abtransportiert. Manch ein deutscher Transportbegleiter kehrte nie wieder zurück. Anfang April kamen
die Verschleppungskommandos. Kommissare in Begleitung von Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten betraten den Hof. Sie suchten nach Männern zwischen 15 und 65 Jahren zur Arbeit in den Weiten Rußlands. Auch
Frauen ohne Kinder wurden zu Arbeitskommandos zusammengestellt. Wer Glück hatte, durfte die zusammengetriebenen Viehherden versorgen. Ein großer Teil von ihnen teilte jedoch das Schicksal der Männer in Rußland
zwischen Sibirien und dem Schwarzen Meer. So wurde auch der Mensch als Beutegut oder Reparationsleistung betrachtet. Am 15. Juli rückten die in Lautern stationierten Truppen ab. Nur eine kleine
Abteilung und das Erntekommando blieben zurück. Am gleichen Tage kamen schon die das Land besetzenden Polen, die als von den Russen Vertriebene sich in Ostpreußen ansiedeln sollten. Sie suchten sich die noch
bewohnbaren Häuser aus und trugen Hausrat und Möbel zusammen, um sich einzurichten. Die noch verbliebenen Deutschen konnten zunächst glücklich sein, wenn sie auf ihrem Hof weiter wohnen durften. Auch bei der
Besetzung der Höfe und Häuser gab es große Unterschiede im Verhalten der Polen gegenüber den Deutschen. Dann schlug die entscheidende Stunde bei der Frage: Wer von den
Deutschen optiert für Polen und wer will deutsch bleiben. Die "Neupolen" erhielten Lebensmittelkarten, die anderen nicht. Trotz ihrer Option für Polen erfuhren auch sie immer wieder Benachteiligungen.
Gerüchte kamen auf, dass alle noch verbliebenen Deutschen das Land verlassen müßten und in das Altreich transportiert werden sollten. Am 18. Oktober war es dann so weit. Alle Deutschen des Kirchspiels Lautern
wurden aufgefordert, sich zu einem festgesetzten Termin am Hause des polnischen Amtsvorstehers einzufinden. Dort verkündete er den Anwesenden die Termine ihrer Aussiedlung (sprich, Vertreibung). Nur ein
kleines Handgepäck durfte mitgenommen werden. Zur Illustration wird nachfolgendes Beispiele wiedergegeben:
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