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Überblick über die Entwicklung in der Landwirtschaft Dreifelderwirtschaft und Flurzwang Im 11. Jahrhundert setzte sich die im nordfranzösischen Raum entwickelte Dreifelderwirtschaft durch, d.h. ein Wechsel
zwischen dem Anbau von Winterfrucht, Sommerfrucht und einer Brache und breitete sich in den deutschen Raum nach Osten hin aus. Die westlichen Siedler, die ins Ermland kamen, brachten diese Agrarkultur sowie den eisernen
Pflug, die Egge, die Sense, den Dreschflegel und manch andere Verbesserung mit in ihre neue Ansiedlung. Von den deutschen Bauern nahmen die Prussen sehr schnell die fortschrittliche Landbearbeitung an und teilten auch
ihr bewirtschaftetes Land in drei gleich große Flächenabschnitte, auf denen jedem Bauern ein Streifen zugewiesen wurde. Diese "Gemengelage" brachte es mit sich, dass sich alle auf gemeinsame Aussaat- und
Erntetermine einigen mussten (Flurzwang). Sie selbst wohnten mit ihren Familien im Dorf, wo sie ihre Wirtschaftsgebäude hatten und in einem kleinen Hausgarten Gemüse für die Küche anbauten. Die Brache diente den
Dorfbewohnern als gemeinsame Viehweide. Frühmorgens ging der Gemeindehirt die Dorfstraße entlang und blies in sein Horn, dann öffneten die Bauern die Türen der Ställe, und das Vieh zog allein bis zum Sammelplatz am
Hecktor. Von dort trieb der Hirt die Herde auf die Brache. So geschah es Tag für Tag bis St. Johann (26. Juni). Dann wurde die Brache umgepflügt und das Vieh in den gemeinsam bewirtschafteten Wald getrieben, bis die
Felder geräumt waren. Die liegen gebliebenen Erntereste sowie die Wildkräuter boten noch eine gute Nahrung für das Vieh. Die Wiesen pflegte man für die Pferde und Zugochsen reservieren, damit sie für die schwere Arbeit
genügend Kraft behielten. So wirtschafteten die Ermländer etwa 500 Jahre der Dreifelderwirtschaft, ohne einen größeren Fortschritt in der Landwirtschaft zu machen, was auch durch den Flurzwang bedingt war, da einer
an den anderen gebunden war, und keiner eigenmächtig, vielleicht nach besseren Erkenntnissen, wirtschaften konnte. Die überwiegende Zahl der Bauern waren als freie Zinsbauern dem Bischof oder dem Domkapitel als ihren
Grundherren verpflichtet. Sie hatten auf den bischöflichen bzw. domkapitularen Domänen Scharwerksdienste zu verrichten. Jedoch war diese Arbeit nicht bedrückend. Eine Leibeigenschaft oder Hörigkeit kannte man im
Hochstift Ermland nicht. Darum hieß es allgemein: "Unter dem Krummstab läßt es sich gut leben." Der Adel war im Hochstift Ermland nur schwach vertreten. Der Umfang der Hand- und Spanndienste vergrößerte sich
erst seit dem wirtschaftlichen Niedergang im 15. Jahrhundert. Die bäuerliche Schollenpflichtigkeit wurde auch erst im 16. Jahrhundert nach vorangegangenen starken Bevölkerungsverlusten eingeführt. Da die Verluste
an Menschen in den verwüstenden Kriegen des 15. Jahrhunderts nicht mehr durch Zuwanderung aus dem Westen und Binnenkolonisation ersetzt werden konnten, wurden im südlichen Teil des Hochstiftes um Allenstein,
Wartenburg und Bischofsburg auch polnische Zuwanderer aus Masowien angesiedelt. Stein-Hardenberg´sche Reformen
Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts bereitete sich ein großer Umschwung vor. Nach den Kriegswirren von 1806/07 führte der preussische Staat entscheidende Reformen durch. Die gesamte Verwaltung wurde aufgrund der Reformvorschläge des Freiherrn vom Stein und seines Mitarbeiters, des Fürsten von Hardenberg, umgestaltet. Mit der Unterzeichnung der "Ordnung für sämtliche Städte der preußischen Monarchie" am 19.
November 1808 durch König Friedrich Wilhelm III. in Königsberg wurde die Selbstverwaltung in den Städten eingeführt. Mit dem "Edikt über den erleichterten Besitz und freien Gebrauch des Grundeigentums" vom 9.
Oktober 1807,sowie dem "Edikt über die Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse" vom 14. September 1811 wurde die sogenannte "Bauernbefreiung" durchgeführt. Schließlich kam mit dem
"Edikt der Gemeinheits-Teilungsordnung" vom 7. Juni 1821 Bewegung in die seit Jahrhunderten vorhandene Struktur der bäuerlichen Wirtschaft. Vor allem die letzte Verordnung brachte die radikale Abkehr
von der bisher gepflegten Dreifelderwirtschaft mit dem lästigen Flurzwang hin zur Individualwirtschaft. Diese Umwandlung wird im Ermland als "Separation" bezeichnet. Dabei gab es viele
Schwierigkeiten zu überwinden und manch ein Gerichtsprozess musste zur Klärung der Ansprüche geführt werden. Nach dem Gesetz von 1821 konnte nämlich jeder einzelne Bauer die Ausscheidung seines Besitzes beantragen. Da
aber die Vermessungen und die Verhandlungen zu große Kosten verursacht hätten, wenn jedes Grundstück einzeln abgetrennt worden wäre, bestimmte die Verordnung vom 28. Juli 1838, dass die Gemeinheitsteilung nur dann
erfolgen dürfe, wenn die Besitzer von mindestens einem Viertel der in Frage kommenden Ländereien damit einverstanden wären. Dann jedoch müsse die Separation für das ganze Dorf durchgeführt werden. Bis in einem Dorf es
soweit war, vergingen manchmal Jahrzehnte. Doch bis etwa 1865 dürften die meisten Separationsrezesse abgeschlossen worden sein. Überall entstanden in der Landschaft die heute sie prägenden Abbauten und auch die Dörfer
veränderten ihr Aussehen. Das ursprüngliche Dorf, umgeben mit einem Palisadenzaun und Toren gegen unerwünschte Eindringlinge, wozu vor allem im Winter die hungrigen Rudel der Wölfe zählten, löste sich auf. Die Bauern
bauten auf ihrem neuen, zusammenhängenden Landplan nach der Separation ihren Hof mit Wohnhaus und Wirtschaftsgebäuden vollkommen neu auf, was mit vielen Kosten verbunden war. So entstand die typische Hofanlage der
Abbauten.
Die Landschaft bekam durch die neu entstandenen Abbauten ein völlig anderes Aussehen. Im alten Dorf blieben dann die Eigenkätner, Handwerker und Kaufleute
und vereinzelte Bauern zurück, deren Landfläche an das Dorf angrenzte. Jeder, ob Bauer, Eigenkätner, Handwerker oder Kaufmann konnte nun seine Fähigkeiten frei
entfalten, womit dem Aufblühen der Wirtschaft der Weg geebnet war. Inzwischen hatte Albrecht Thaer die "Grundsätze der rationellen Landwirtschaft"
aufgestellt. Danach sollte z.B. der Kartoffelanbau, der Kleeanbau, der Hackfruchtanbau und die Schafzucht gefördert werden. Ferner empfahl er den Landwirten den Fruchtwechsel. So war Ostpreußen auf dem besten Wege, die
"Kornkammer" Deutschlands zu werden. Das Genossenschaftswesen
Die Umstellungsschwierigkeiten, der Aufbau der neuen Hofanlage und die fallende Preise der landwirtschaftlichen Produkte, vor allem des Getreides, brachten aber auch
manche Bauern in eine Notlage, besonders dann, wenn sie sich überschuldet hatten und vielleicht noch mit Wucherzinsen ausgebeutet wurden. Zwangsversteigerungen
blieben dann nicht aus. Das führte zur Suche nach Hilfen für die Betroffenen. Männer, wie z.B. Raiffeisen (1818-1888), rieten den Bauern, sich in Genossenschaften
zusammenzuschließen zur gegenseitigen Hilfe nach dem Leitwort: "Einer für alle, alle für einen - Raiffeisengenossenschaften".Ein anderer Pionier auf diesem Gebiet war in Westfalen der Freiherr von
Schorlemer-Alst (1825-1895), der 1862 in Münster den Bauernverein gründete. Im Ermland war es der Gymnasiallehrer in Rößel Dr. Bernhard Lehmann (um
1860-1934),der sich mit großem Idealismus für den Bauernstand einsetzte. Schon als er in Deutsch-Krone seinen Schuldienst versah, hatte er am 15. Dezember 1882 den
Ost- und Westpreußischen Bauernverein gegründet. Während seiner Rößeler Amtszeit nahm er sich ebenfalls der Sorgen der Bauern an und trug seine Vorschläge
in vielen Versammlungen vor. Er fand gleichgesinnte Freunde, so den Amtsvorsteher in Tollnigk und den Bauer Hoppe in Wangst. Bald kam es zur Gründung der ersten
Ortsgruppe des Bauernvereins im Ermland, und zwar im alten Lehrerhaus in Rößel am 30. Dezember 1884. Wenige Monate später, am 11. März 1885, entstand die Rößeler
Spar- und Darlehenskasse als Finanzierungsinstitut der Bauern. Die Saat, die Dr. Lehmann ausgestreut hatte, trug reiche Früchte. Es gab bald keinen
größeren Ort mehr ohne Spar- und Darlehenskasse. In Lautern leitete die Spar- und Darlehenskasse der Kassenrendant Joseph Neumann bis zu seiner Einberufung zum
Militärdienst. Ebenso wurden überall landwirtschaftliche Genossenschaften als Raiffeisengenossenschaften gegründet. So entstanden Genossenschaften für
Getreide, Futtermittel und Kunstdünger, Viehverwertungsgenossenschaften, Molkereigenossenschaften und andere Sondergenossenschaften. |